Haarausfall infolge chronischer Selen-Zufuhr
Eine medizinsche Kurzdarstellung |
Einleitung
Selen ist ein essentielles Spurenelement, das als Bestandteil selenhaltiger Enzyme (z. B.—- Glutathionperoxidase) eine wichtige Rolle im antioxidativen Schutzsystem spielt. Es wird in therapeutischen Dosen zur Unterstützung der Schilddrüsenfunktion, Immunmodulation und in antioxidativen Protokollen eingesetzt. Eine chronisch erhöhte Selenaufnahme – meist durch Nahrungsergänzungsmittel – kann jedoch zu Selenose führen, deren charakteristisches Symptom unter anderem Haarausfall ist.
Pathophysiologie der Selenose und Haarverlust
Ein Selenüberschuss wirkt zelltoxisch durch:
• Austausch von Schwefel durch Selen in Keratinen, wodurch die Strukturstabilität der Haare gestört wird (Keratin enthält viele Disulfidbrücken)
• Prooxidative Effekte bei Überdosierung, die oxidativen Stress in Haarfollikeln fördern
• Hemmung der Mitose und Zellregeneration in schnell teilenden Strukturen wie Haarmatrixzellen
• Lokale Entzündungsreaktionen in der Kopfhaut und gestörte Mikrozirkulation
Klinische Symptome der chronischen Selenose
• Diffuser oder fokal betonter Haarausfall (telogenes Effluvium)
• Nagelveränderungen (brüchig, weißlich, deformiert)
• Müdigkeit, Konzentrationsschwäche
• Knoblauchartiger Geruch der Haut
• Gastrointestinale Symptome, neurologische Beschwerden bei schwerer Belastung
Der toxische Schwellenwert liegt bei einer chronischen Aufnahme von >400 µg/Tag über Wochen oder Monate (WHO/EFSA).
Empfehlung zur Diagnostik
• Vollblutselen (nicht nur Serumselen!) zur Einschätzung der Langzeitbelastung
• Ausschluss anderer Ursachen für Haarausfall (Schilddrüse, Eisen, Zink, Hormonstatus, Stress)
Quellenangaben
1. Rayman, M. P. (2012). Selenium and human health. The Lancet, 379(9822), 1256–1268.
DOI: 10.1016/S0140-6736(11)61452-9
2. Yang, G. et al. (1989). Endemic selenium intoxication of humans in China. The American Journal of Clinical Nutrition, 37(5), 872–881.
https://doi.org/10.1093/ajcn/37.5.872
3. EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (2006). Tolerable upper intake levels for vitamins and minerals. EFSA Scientific Committee.
4. Harth, W. (2010). Haarausfall – Ein interdisziplinäres Symptom. Deutsches Ärzteblatt, 107(38), A 1832–1838.
https://www.aerzteblatt.de/archiv/89171
Fazit: Ein übermäßiger und langanhaltender Konsum von Selen kann zu toxischen Wirkungen führen, die insbesondere das Haarwachstum beeinträchtigen. Bei diffuser Alopezie unter Nahrungsergänzungstherapie sollte Selen immer als potenzieller Auslöser abgeklärt werden. Eine frühzeitige Reduktion der Zufuhr führt häufig zur Reversibilität des Haarausfalls.