Gesundheits-Apps – Wenn digitale Hilfe zur therapeutischen Sackgasse wird
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und Fitness-Apps versprechen eine niederschwellige, ortsunabhängige Unterstützung für Patienten – von Bewegungstherapie über Atemübungen bis hin zu Schmerzmanagement. Ärzte und Therapeuten sollen diese Apps sogar verschreiben. Doch was auf den ersten Blick modern und entlastend wirkt, birgt erhebliche Risiken – vor allem, wenn sie ohne individuelle Anpassung oder professionelle Begleitung genutzt werden.
Ein zentrales Problem: Die Standardisierung.
Gesundheits-Apps arbeiten mit schematisierten Abläufen. Dabei verlieren sie das, was therapeutische Qualität ausmacht: Individualität. Kein Rücken ist wie der andere. Kein Schmerz gleicht dem nächsten. Was im klinischen Alltag zählt, sind feine Unterschiede – Bewegungsausmaß, Gewebequalität, Vorerkrankungen, psychosoziale Faktoren. Apps erfassen das nicht.
Zweitens: Fehlanwendung und Kompensationsstrategien.
In der Physiotherapie erkennen wir tagtäglich, wie Patienten Bewegungen falsch ausführen – trotz Anleitungen. Kommt kein professionelles Feedback, verstärken sich Fehlhaltungen, die Kompensation dominiert. Gerade bei Schmerzpatienten oder im postoperativen Bereich kann das verheerend wirken. Auch bei Schwindel, Dysbalancen oder chronischen Beschwerden sind Standardübungen potenziell kontraindiziert.
Drittens: Fehlgeleitetes Vertrauen.
Viele Patienten glauben, sie „tun etwas für sich“ – und merken nicht, dass sie sich verschlechtern. Ärzte verlassen sich zunehmend auf digitale Empfehlungen, entziehen sich aber gleichzeitig der Verantwortung, wenn es schiefgeht. Das ist gefährlich – medizinisch wie ethisch.
Fazit:
Gesundheits-Apps können ergänzen – aber nicht ersetzen. Sie können Anstoß geben, Erinnerung sein, Motivation fördern. Aber sie ersetzen niemals die gezielte
Diagnostik, das manuelle Screening oder die klinische Einschätzung durch einen ausgebildeten Therapeuten. Wer sie dennoch unkritisch empfiehlt oder gar verschreibt, ohne für begleitende Kontrolle zu sorgen, trägt Mitverantwortung für Fehlentwicklungen im System. Therapie ist keine Checkliste. Sie ist Beziehung, Beobachtung und Entwicklung. Und genau das ist nicht digitalisierbar.
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